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Mittwoch, 30. März 2011

Von der Wirkung her denken!

Gedanken zum infanteristischen
und abgesessenen Kampf



Die Bundeswehr von heute steht nicht mehr nur im Einsatz, sie steht im Gefecht. Im Gefecht bestehen zu können ist eine Frage der Einstellung, der Ausbildung und schließlich auch der Bewaffnung und Ausrüstung.

Der Waffenmix - darunter Pistole, Gewehr G36 und G3ZF- bewährt sich im Afghanistan-Einsatz
(Foto: Bundeswehr/IMZBw)


Wer heute als Wehrpflichtiger, Zeit-, Berufssoldat oder Reservist in der Bundeswehr dient, muss dies mit dem Anspruch „Kämpfen können, um das Gefecht zu gewinnen“ tun. Dies gilt erst Recht in friedensstabilisierenden Einsätzen mit asymmetrisch operierenden Gegnern. Da diese in der Regel Ort und Zeit des Gefechtes bestimmen, endet die Asymmetrie im Feuerkampf zunächst. Das Gefecht gewinnt, wer die höhere Wirkung zum Einsatz bringt. Die Fähigkeitskategorie „Wirksamkeit im Einsatz“ steht daher auch im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtung.

Einstellung und Kampfbereitschaft („Combat Mindset“)
Grundvoraussetzung für überlegene Wirkung ist die eigene Einstellung, die Einsatz- respektive Kampfbereitschaft („Combat Mindset“). Das Beherrschen des soldatischen Handwerkszeugs, der Handwaffen und der Gefechtsausrüstung, Schieß- und individuelle Grundfertigkeiten sind dafür ebenso unabdingbar wie stetige Fort- und Weiterbildung, Disziplin und Kameradschaft.
Kampfbereitschaft, Kompetenz und Kameradschaft schweißen die „Kleine Kampfgemeinschaft“ zusammen. Sie ist es letztlich, die den Soldaten motiviert, für die er vollen Einsatz zeigt, und die ihm auch den Halt gibt, im Gefecht zu bestehen und Erlebtes zu verarbeiten.

Führung und Verantwortung

Die Begabung, Menschen zu führen, auszubilden und zu erziehen („Leaderhip“) ist ein Kampfkraftmultiplikator. Trotz aller moderner Führungs- und Kommunikationstechnik befindet sich der militärische Führer im Schwerpunkt und führt von vorn. Seine Soldaten gehen für ihn durchs Feuer, weil sie wissen, dass er das gleiche für sie tut. Initiative ist wichtiger als übertriebenes Absicherungsdenken.
Die heranwachsende Führer- und Unterführergeneration, die über Kampferfahrung verfügt, wird die Gestalt der Bundeswehr verändern. Das bietet die Chance zu einer Rückbesinnung auf die Innere Führung: „Die Innere Führung ist die Aufgabe aller militärischen Vorgesetzten, Staatsbürger zu Soldaten zu erziehen, die bereit und willens sind, Freiheit und Recht des deutschen Volkes und seiner Verbündeten im Kampf mit der Waffe oder in der geistigen Auseinandersetzung zu verteidigen.“ (Vgl. Ulrich de Maizière: In der Pflicht. Herford 1989: E. S. Mittler & Sohn, S. 228). Innere Führung ist weder bloße „Schutzinstanz gegen Schikane“ noch „wehrkraftzersetzende Menschenführung 2000“. Die wertvolle Philosophie, den mündigen Staatsbürger zur militärischen und intellektuellen Verteidigung unserer Werte zu erziehen, muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Leitbild der Inneren Führung ist der Staatsbürger in Uniform. Dass sich die neue Generation von Staatsbürgern in Uniform, die bereits kampferfahrene „Generation Einsatz“ von politischer Führung und Parlament teilweise nicht verstanden fühlt, gibt Anlass zur Sorge um den Zustand der „Parlamentsarmee“. Abhilfe ließe sich durch gelebte politische Führungsverantwortung schaffen – beispielsweise durch eine breite gesellschaftliche sicherheitspolitische Debatte, durch eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes oder nachhaltige Sicherheitsvorsorge durch eine starke aufwuchsfähige Reserve.

Aus-, Fort- und Weiterbildung

Die Ausbildung legt Grundlagen für das soldatische Handwerk. Diese müssen stetig ausgebaut, ergänzt und aktualisiert werden. „Wer aufhört, besser werden zu wollen, hat aufgehört, gut zu sein.“
Im Hinblick auf infanteristische Grundfertigkeiten ist es richtig, querschnittlich ein neues Schießausbildungskonzept zu implementieren, das mehr Wert auf Eigenverantwortlichkeit legt. Eine modular aufgebaute Nahkampfausbildung – etwa nach dem Vorbild des Marine Corps Martial Arts Programme (MCMAP) – erscheint im Hinblick auf körperliche Fitness und Kampfbereitschaft ebenfalls sinnvoll.
Eine modulare Nahkampfausbildung – hier zweckmäßigerweise in Gefechtsausrüstung – sollte
querschnittlich erfolgen (Foto: W.I.)

Vor allem für die praktische Ausbildung gilt der Grundsatz „Übe, wie Du kämpfst“. So lässt sich beispielsweise die Zweckmäßigkeit der Ausrüstung prüfen und manchmal stellt sich dabei heraus, dass dem „Coolness-Faktor“ geschuldete Anschaffungen nicht immer zweckmäßig sind.
Der Informationsaustausch mit Kameraden, Kollegen anderer Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben oder Angehörigen von Hilfsorganisationen aus dem In- und Ausland kann wertvolle Hinweise und Anregungen liefern. Ein guter Ansatz ist die Schriftenreihe „Aus dem Einsatz lernen“, die jüngst das Heer auf den Weg gebracht hat.

Modulare Bewaffnung und Ausrüstung

Wie bereits angedeutet, fällt Bewaffnung und Ausrüstung eine hohe Bedeutung zu, um das Gefecht zu gewinnen. In diesem Bereich hat es in den letzten Jahren erhebliche Entwicklungen gegeben.
Modularität ist inzwischen kein Trend mehr, sondern Standard. Diese beginnt ganz grundsätzlich mit dem Waffen-, Ausrüstungs- und Munitionsmix, der sich nach Auftrag, Gelände und Bedrohungslage ausrichtet. Die US-Streitkräfte nennen dies „Toolbox“, die britischen Kameraden etwas sportlicher „Golf-Bag-Approach“. 
Die persönliche Bewaffnung reicht vom Bajonett über die Pistole - hier eine SIG Sauer P226 - bis hin zum Sturmgewehr (Foto: UK MoD)

Eine Bewaffnung vom Kampfmesser über die inzwischen nahezu querschnittlich als Zweitwaffe getragene Pistole, das Sturmgewehr, gegebenenfalls mit Anbau-Granatwerfer, das mittlere Einheitsmaschinengewehr bis hin zum Gewehr Großer Reichweite befähigt nach diesem Ansatz die Infanteriegruppe bis zum Kampf auf 1 800 Meter.
Modularität gilt darüber hinaus auch für alle Bestandteile des infanteristischen Werkzeugkastens: Die Hersteller von Bekleidung, Schutz- und Trageausstattung, Waffen oder auch der Optiken bieten heute meist ganze Systeme an, die sich dem jeweiligen Einsatzzweck anpassen lassen.

Modulare Waffen- und Optiksysteme schaffen taktische Flexibilität – hier eine Kurzversion des projektierten G36A1.1 mit Carl Zeiss Optronics Zieloptik ZO4x30, RSA-Reflexvisier und Nachtsichtvorsatz NSV600
(Foto: Bundeswehr/IMZBw)


Reichweite und Wirkung im Ziel
Mit den zunehmenden Gefechten vor allem in Afghanistan geriet die angeblich besonders auf Distanzen jenseits der 200 Meter wirkungslose Munition der NATO-Truppen in die Diskussion. So forderte beispielsweise US-Major Thomas P. Erhart in seiner vielbeachteten Studie „Increasing Small Arms Lethality in Afghanistan – Taking back the Infantry half Kilometer“ die Rückbesinnung auf den gezielten Einzelschuss auf 500 Meter und eine entsprechende Anpassung der Ausbildung und Ausrüstung. Viele NATO-Staaten ergänzten ihre 5,56er-Waffenpalette um Sturmgewehre und Designated Marksman Rifles (DMR’s) in 7,62 mm x 51und statteten auch ihre Infanteriegruppen wieder mit Maschinengewehren im alten NATO-Standardkaliber aus. Beispiele hierfür wären die USA (SCAR-H alias MK17 des US SOCOM, M14DMR, M240 alias FN MAG), Großbritannien (DMR L129A1, GPMG L7A1 und andere alias FN MAG), die Niederlande (HK417; des weiteren Interesse am MG HK121) und nicht zuletzt Deutschland (G3, G3ZF, G3ZF-DMR, G27, DMR762, Ersatz für MG3 projektiert). 
Die Notwendigkeit eines mittleren Einheitsmaschinengewehrs und einer Designated Marksman Rifle auf Gruppenebene sehen auch die britischen Streitkräfte (Foto: UK MoD)


Das HK121 im Kaliber 7,62 mm x 51 hat gute Chancen, das neue deutsche Einheitsmaschinengewehr zu werden. (Foto: Jan-P. Weisswange)

Ohne Zweifel bietet die 7,62 mm x 51 deutlich bessere ballistische Reserven und das noch auf deutlich größere Reichweiten, als die 5,56 mm x 45. Sollte also das alte NATO-Kaliber an die Stelle seines Nachfolgers treten? Hintergrund der Kaliberumstellung in den NATO-Staaten 1980 waren vor allem die Gewichtsersparnis und der geringere Rückstoß – bei gleicher Last kann der Schütze gut das Doppelte an Munition mitführen und im Gegensatz zum früheren Standardkaliber fällt der Rückstoß sehr gering aus. Beides gilt nach wie vor als Argument pro 5,56. Zudem hätte die Feststellung, dass die Patrone keine oft mehrere Meter dicke Lehmwände in Afghanistan durchschlägt, bei einem Blick in die ZDv3/11 „Gefechtsdienst aller Truppen“ nicht überraschen dürfen. Diese gab bereits im „Kalten Krieg“ 90 Zentimeter Lehm als geeignete Deckung vor 7,62mm-Munition an. Da nimmt es nicht wunder, dass die Verteidiger der 5,56 – etwa der schwedische NATO-Experte Per G. Arvidsson – kein Problem mit der Wirksamkeit dieser Munition sehen und als Ursache für fehlende Letalität zumeist mangelndes Training identifizieren. Treffe der Schütze sein Ziel richtig, dann zeige sich auch eine entsprechende Wirkung.

Durchschlagskraft und Mannstoppwirkung
In Verbindung mit mangelnder Letalität taucht wiederum ein anderes Stichwort auf, die Mannstoppwirkung respektive die Kampfunfähigkeit („Incapacitation“). Diese wiederum steht gerade bei kleineren Handwaffenkalibern mit den bei Streitkräften aufgrund Kriegsvölkerrechts gebräuchlichen Vollmantelgeschossen mitunter im Gegensatz zur Durchschlagskraft.
Die deutsche 5,56 mm-Doppelkern-Gefechtspatrone DM11 stellt bezüglich Durchschlagkraft und Mannstoppwirkung einen Kompromiss dar. Unter dem verzinnten Tombak-Mantel befinden sich ein Stahl-Penetratorkern und ein dahinter angeordneter Bleikern. Dieser Aufbau verleiht dem Geschoss zwar nicht die Durchschlagskraft des Wolframkarbid-Hartkerngeschosses der DM31-Patrone im gleichen Kaliber, dafür deformiert es sich beim Auftreffen auf ein weiches Zielmedium aber und gibt dadurch mehr Energie im Ziel ab.
Ein Munitionsmix erscheint daher sinnvoll. Beim MG4 sind etliche Gurtungen verschiedener Munitionstypen verfügbar; bewährt hat sich eine Mischung aus zwei Doppelkern-, einem Hartkern- und einem Leuchtspurgeschoss. Es bietet sich an, beim Füllen der Sturmgewehrmagazine ähnlich zu verfahren. Tipp: Die ersten drei bis fünf geladenen Patronen sollten Leuchtspur sein, so erkennt man rechtzeitig, dass ein Magazinwechsel ansteht. Der daran anschließende Mix sollte sich nach Gelände und zu erwartendem Gegner (Kampfweise, Bewaffnung, Ausstattung mit ballistischer Schutzausrüstung) richten.

Eine neue Munitionssorte?

Bereits seit Jahrzehnten gibt es immer wieder Ansätze, neue Munitionssorten zu entwickeln. Die US Army hat kürzlich ihre Standard-Vollmantelpatrone M855 durch das Modell M855A1 ergänzt. 
US-Patrone M855A1 (Foto: US DoD)

Deren Entwickler im Picatinny-Arsenal betonen, dass sich die bleifreie „Green Ammo“ aufgrund ihrer Komponenten nicht nur deutlich umweltverträglicher zeige, sondern dass sie erheblich bessere Durchschlagskraft sowie eine erheblich bessere Wirkung im Ziel im Hinblick auf die Kampfunfähigkeit bringen soll. Auch das US Marine Corps hat eine neue Munitionssorte MK318Mod0 SOST eingeführt, die ähnliche Leistungen bringen soll.
Munitionsexperten wie der Brite Tony Williams zeigen sich allerdings skeptisch, dass die neuen US-Patronen bei europäischen Streitkräften Fuß fassen könnten. Wesentlich für ihren Erfolg ist ihre Konstruktion und in beiden Fällen handelt es sich nicht um Vollmantelgeschosse, die nach mehrheitlicher Interpretation der Haager Landkriegsordnung von 1899 für Streitkräfte vorgeschrieben sind.
Um bessere Wirkung, Durchschlagskraft und Reichweite bei geringerem Gewicht und Rückstoß zu erreichen, gibt es auch Ansätze, neue Kaliber zu entwickeln. Beispiele sind die 6,5 Grendel (6,5 mm x 39), die 6.8 Remington Special (6,8 mm x 43) sowie die jüngst von der Advanced Armament Corporation vorgestellte .300 AAC Blackout (7,62mm x 35), die auf der Wildcat-Patrone .300 Whisper beruht.
.300 AAC Blackout (Foto: Jan-P. Weisswange)
So vielversprechend einige Versuche gelaufen sein mögen – vor dem Hintergrund, dass sich die „Golden Bullet“ oder gar Freikugeln industriell noch nicht herstellen lassen und dass sich ein Kaliberwechsel selbst außerhalb des laufenden Gefechts nur mit hohem logistischen Aufwand und daher hohen Kosten bewerkstelligen ließe, bleibt der derzeitige Munitionsmix aus 5,56 mm x 45, 7,62 mm x 51 und .50BMG wohl noch mindestens zehn Jahre Standard. Er deckt aber – Verfügbarkeit, Training und Qualität vorausgesetzt – die wesentlichen infanteristischen Erfordernisse ab. Hinsichtlich des Trainings gilt: Schießen lernt man nur durch Schießen.


Globaler Trend zum AR-15-System?
Mit dem „Global War on Terror“ erlebte – trotz diverser US-Programme zur Modernisierung der Handwaffen – das von Eugene Stoner entworfene AR-15-System, besser bekannt als M16/M4, einen Boom. Unterdessen brachten selbst namhafte europäische Unternehmen entsprechende Waffen in diesem Design heraus. Beispiele sind Heckler&Koch (HK) mit ihrem HK416, Oberland-Arms mit einer Behördenlinie der OA-15-Baureihe, J.P. Sauer&Sohn/SIG Sauer mit ihrem 516 und nicht zuletzt die neue Firma Schmeisser aus Krefeld mit ihrer "Solid"-Militärlinie.
Schmeisser Solid 2 mit Rheinmetall Laser-Licht-Modul Vario-Ray und Carl Zeiss Optronics Zieloptik 4x30
(Foto: Jan-P. Weisswange)

Norwegen begann 2007 damit, das HK416 – es verbindet das äußere AR-15 Design mit der Zuverlässigkeit des G36-Gaskolbensystems – als neue Standardwaffe zu beschaffen. Darüber hinaus führen es militärische und polizeiliche Spezialkräfte in Frankreich, den Niederlanden, Polen, den USA und Indonesien. Gemeinsam mit ähnlichen Systemen – etwa dem SIG516, oder der „Solid“-Militärlinie von Schmeisser – befindet sich das HK416 derzeit im Wettbewerb um den Zuschlag einer „Unterstützungswaffe kurze Reichweite für Feldjäger/KSK“.
Aufgrund des offensichtlichen Bedarfs vieler AR-15-Nutzernationen an Gewehren in 7,62mm x 51 entstand auch bei den deutschen Waffenschmieden schnell die Idee, eine dem M4/M16 identisch zu bedienende Langwaffe im Kaliber 7,62mm x 51 zu schaffen. Ein Ergebnis war das HK417, das im Februar 2005 in die Serienproduktion ging.
HK417 (Foto: Heckler&Koch)

Die Bundeswehr hat das HK417 für Spezialkräfte als G27 als Universal-Sturmgewehr beschafft. Darüber hinaus kommt es in den Niederlanden, Norwegen und Berichten zufolge beim britischen Special Air Service (SAS) zum Einsatz. Inzwischen hat auch SIG Sauer mit dem 716 nachgezogen, dessen Produktion unterdessen in Deutschland anläuft. 
SIG Sauer 716 mit Schmidt&Bender Short-Dot und Insight Mini Red Dot Sight
(Foto: Jan-P. Weisswange)
G3ZF-DMR und DMR762
Mit dem Kampf auf Distanzen jenseits der 300 Meter erfolgte die „Wiedergeburt des G3ZF“ und mit ihr des „Zielfernrohrschützen“. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem völlig anders und spezialisierter operierenden Scharfschützen. Vielmehr entspricht der G3ZF-Schütze dem Konzept des „Designated-Marksman“ der US-Streitkräfte: eingebunden in die Infanteriegruppe, ohne separaten Beobachter („Spotter“), höhere Mobilität und Feuergeschwindigkeit (halbautomatisches ZF-Gewehr statt Repetier-Scharfschützengewehr).
Einige Truppenteile forderten ab dem Jahr 2008 G3 aus den Depots an und nahmen diese mit in den Einsatz. In der Folge baute die Truppe diese Waffe teilweise in Eigeninitiative durch das Anbringen von Zubehörteilen verschiedenster Hersteller für den neuen DMR-Einsatzzweck um, ohne dass diese Änderungen durch die Bundeswehr erfasst bzw. auf ihre technische Eignung untersucht  wurden und daher kaum katalogisierbar sind. 
G3-Schütze mit Aimpoint Comp M4-Rotpunktvisier im ISAF-Einsatz (Foto: Bundeswehr/IMZBw)
Diese improvisierten Truppenlösungen sollen in naher Zukunft durch eine „echte“ DMR-Waffe (Präzisions-Selbstladegewehr) nebst Zielfernrohr und Munition abgelöst werden, um präziser auf Distanzen zwischen 300 und 600 Metern wirken zu können. Dieses derzeit „DMR762“ genannte Präzisionsselbstladegewehr, eine auf die harten Einsatzanforderungen in Afghanistan und das Militärkaliber 7,62 mm x 51 angepasste Variante der zivilen Heckler&Koch Match Rifle 308, soll mit einer eigens entwickelten Munition „7,62mm x 51 DMR“ und einem neuen Schmidt&Bender-Zielfernrohr 3-20x50 eine deutlich bessere Präzision – Zielsetzung 1,5 Winkelminuten (Minute of Angle/MOA; entspricht einem Streukreis von rund 45 mm auf 100 Meter) – erreichen. Zusätzlich kann die DMR762 auch die Standardmunitionen der Bundeswehr DM111/ DM111 A1-Weichkern und DM 151Hartkern mit einer guten Präzisionsleistung verschießen. Die Kampfentfernung beträgt 600 Meter, entsprechende Zielmittel für den Nachtkampf sollen diese Reichweite auch bei Dunkelheit gewährleisten. Außerdem ist für den Kampf im Nahbereich bis etwa 150 Meter ein zusätzliches Rotpunktvisier vorgesehen.
Als Zwischenlösung sollen zeitnah mehrere hundert G3A3ZF zum kampfwertgesteigerten G3A3ZF-DMR aufgerüstet werden. Die Verbesserung besteht im wesentlichen aus einem leistungsstarken Zielfernrohr 3-12x50 (Schmidt&Bender PMII) mit integrierter Strichplattenbeleuchtung und Parallaxe-Ausgleich auf der STANAG-Spannmontage, einem auf Einzelfeuer beschränkten Griffstück sowie einer Picatinny-Schiene zur Befestigung von Sturmgriff, Harris-Zweibein und Laser-Lichtmodul.
Mögliche G3ZF-DMR Interimlösung (Foto: Heckler&Koch)

Handgranaten und 40mm-Munition

Nach wie vor verleiht die Handgranate infanteristisch eingesetzten Kräften im Kampf im bebauten Gelände oder um Feldbefestigungen enorme Kampfkraft. Die Palette umfasst heute Irritationskörper wie Blitzknall-Granaten, Nebelwurfkörper oder Rauchmarkierungsgranaten, nicht letale Wirkmittel mit chemischen Reizstoffen für Crowd-and Riot-Control (CRC)-Einsätze ebenso wie Gefechtshandgranaten mit Blast- oder Splitterwirkung und Air-Burst-Modus.
Um die taktische Lücke zwischen Handgranaten und Mörsern zu schließen, kommt insbesondere die 40 mm-Munition zum Einsatz. Die heute weit verbreitete 40 mm x 46-Munition im Low-Velocity-Bereich (LV, Geschwindigkeit 75 m/s) – unter anderem geliefert von Diehl und Rheinmetall – umfasst neben der Spreng-/Splitter und der Sprenghohlladungspatrone (HEDP/High Explosive Dual Purpose) eine breite Palette weiterer Gefechts- und Übungsmunition sowie Nicht-Letaler Wirkmittel wie Wucht- und Tränengasgeschosse.
Relativ neu ist 40 mm x 46-Medium-Velocity-Munition (MV, Geschwindigkeit: ca. 100 m/s). Diese lässt sich ebenfalls durch den einzelnen Infanteristen mit handgehaltenen oder Anbau-Granatwerfern verschießen, sie erreicht aber eine von 400 auf 700 Meter gesteigerte Reichweite und erlaubt es zudem, Geschosse mit höherer Nutzlast, Letalität, Ersttrefferwahrscheinlichkeit und modifizierter Zündertechnologie zu verschießen. Die MV-Munitionspalette wird weiter ausgebaut, unter anderem durch eine tempierbare Air-Burst-Munition. Ein noch zu lösendes Problem ist bei dem Verschuss der MV-Munition aus einem Anbaugranatwerfer die die hohe Belastung der Trägerwaffe.
Inzwischen werden durchaus Konzepte angedacht, neben dem Zielfernrohrschützen einen Granatgewehrschützen in der Infanteriegruppe zu implementieren. 
40-mm-Milkor-Granatwefer M32 beim USMC (Foto US DoD/USMC)
40 mm x 53-High-Velocity-Munition erreicht eine Geschwindigkeit von 130 m/s und eine Kampfentfernung von bis zu 2 000 Metern. Auch hier steht eine breite Munitionspalette zur Verfügung, darunter demnächst tempierbare Geschosse, an denen unter anderem Rheinmetall arbeitet. Die HV-Munition lässt sich nicht aus Handwaffen verschießen, hierfür steht etwa die Granatmaschinenwaffe (GMW oder GraMaWa, englisch Grenade Machine Gun/GMG) von Heckler&Koch zu Verfügung, die sich seit 2003 bei der Bundeswehr und vielen ihrer Partnerstreitkräften im Einsatz bewährt.
Granatmaschinenwaffe im abgesessenen Einsatz (Foto: Bundeswehr/IMZBw)

Panzerabwehr und Anti-Structure Munition
Panzerabwehrhandwaffen behalten zwar ihre Bedeutung, aber eine kombinierte Wirkmöglichkeit gegen Bunker, befestigte Stellungen oder im Orts- und Häuserkampf – selbst auf längere Entfernungen – ist anzustreben. Dynamit Nobel Defence hat hierfür die Recoiless Grenade Weapon 90mm (RGW90) entwickelt, die bei Spezialkräften der Bundeswehr als „Wirkmittel 90“ in Nutzung ist. Der Gefechtskopf der unter einem Meter langen RGW90 kombiniert die Wirkung als Spreng (High Explosive Sqash Head/HESH)- oder Hohlladung (High Explosive Anti Tank/HEAT; hierzu zieht der Schütze lediglich das Abstandsrohr aus dem Gefechtskopf). Die RGW90 lässt sich auch aus geschlossenen Räumen verschießen. 
RGW 90 AS (Foto: T. Meuter/Dynamit Nobel Defence)
Speziell für den Einsatz im urbanen Umfeld entwickelte Dynamit Nobel Defence eine Antistrukturmunition, die RGW90AS (Anti Structure). Der RGW90AS-Gefechtskopf besteht aus einer Bohr- und einer Nachschussladung mit wählbarem Detonationszeitpunkt. Im „Moushole-Mode“ zündet letztere noch während sich die Bohrladung im Zielmedium befindet und reisst somit ein großes Loch ins Zielmedium. Bei langer Zündverzögerung setzt die Nachschussladung erst nach Durchschuss des Zielmediums um.

Lenkflugkörper
Das Panzerabwehrsystem MILAN (Missile d’ Infanterie légere anti-char) steht am Ende seiner Nutzungsdauer. Dennoch setzt das deutsche ISAF-Kontingent die MILAN mit gutem Erfolg bei den Kämpfen in Nordafghanistan gegen feindliche Stellungen ein. Für die rund 40 Staaten, die das System weiter nutzen, erweitert der Hersteller MBDA LFK Deutschland GmbH die Munitionspalette. Ebenso entwickelt die Firma einen Kleinflugkörper (KFK) für die RGW90. Die Reichweite dieses Systems soll bei 1 800 Metern liegen. Der KFK befindet sich noch in der Konzeptphase, daher legen sich die Konstrukteure noch nicht auf das Lenkverfahren fest. Denkbar ist „Man-in-the-Loop“ oder „Fire & Forget“. Hierbei visiert Schütze sein Ziel an und übergibt es per Knopfdruck an den KFK, der seinerseits das Ziel autonom bis zum Treffer ansteuert.
Als Kleinwirkmittel für die Gruppen- oder Truppebene hat MBDA die M3-XL (Modular Mini Missile – Extra Large) entwickelt. Der loiterfähige Kleinflugkörper lässt sich unter Schutz bedienen und per programmierbaren Wegpunkten oder manuell in seinen Zielraum steuern. Eine integrierte Kamera erlaubt Aufklärung, Zielerfassung und Wirkungsdokumentation. Auch das USMC denkt derzeit über die Beschaffung loiterfähiger Kleinflugkörper nach.
Mit zunehmenden technologischen Fortschritten, insbesondere der Miniaturisierung von elektronischen, optischen und optronischen Komponenten wird die Palette der Unterstützungswaffen weiter ausgebaut werden.

Ausblick

Die Infanterie wird sowohl in den heutigen als auch in den absehbaren Einsätzen eine entscheidende Rolle spielen. Für den Erfolg infanteristischer Operationen ist vor allem die Wirksamkeit im Einsatz entscheidend – „Wirkung vor Deckung“.
Dies ist natürlich eine technologische Herausforderung. Die wehrtechnische Industrie ist in der Lage, hochwertige und zweckmäßige Produkte für den infanteristischen und abgesessenen Einsatz zu liefern – von der Patrone bis hin zum Gefechtsfahrzeug. Um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten und weiter ausbauen zu können, bleibt sie auf den Dialog mit der Truppe angewiesen.
Daher sind insbesondere politische Entscheidungsträger und militärische Führung gefordert, die Wirksamkeit der Infanterie und nicht zuletzt aller Soldaten zu steigern, indem sie
- Verantwortung für die ihnen anvertrauten Soldaten übernehmen,
- klare Vorgaben für Aufträge und Einsätze machen,
- Ausbildung und Erziehung stetig an diese Vorgaben anpassen, aber auch an der Einsatzrealität messen und
- die notwendigen Mittel einfordern respektive zur Verfügung stellen.
Alles in allem bleibt die „Wirksamkeit im Einsatz“ in erster Linie eine Frage der Einstellung – auf allen Ebenen, vom Parlament bis zum Alarmposten.

Jan-Phillipp Weisswange
Dieser Artikel erschien zuerst in Strategie&Technik 11/2010, S. 11-17 und wurde leicht überarbeitet.

Dienstag, 15. März 2011

Infantry Fighting Vehicle/Close Combat Vehicle Upgrade Solution



In der Vernetzten Operationsführung gewinnt über Feuerkraft, Beweglichkeit, Panzerschutz, Aufklärungs- und Führungsfähigkeit hinaus Absitzstärke wieder an Bedeutung. In dieser Konsequenz stellte Rheinmetall jüngst mit der Infantry Fighting Vehicle/Close Combat Vehicle (IFV/CCV) Upgrade Solution seinen Lösungsvorschlag vor, Schützenpanzer an die heutigen Erfordernisse anzupassen. Kernstück des Systems ist der unbemannte, ferngesteuerte LANCE-Turm. Neben dem Stabilisierten Elektrooptischem Sichtsystem SEOSS mit Wärmebildgerät und Laserentfernungsmesser zeichnet sich das Turmsystem durch einen digitalen Feuerleitrechner aus. Die 30-mm-Wotan-Maschinenkanone mit Fremdantrieb hat eine Kadenz von 400 Schuss pro Minute, die Geschosse sind zudem airburst-fähig: Ihr Detonationszeitpunkt lässt sich programmieren, um größtmögliche Wirkung auch gegen Ziele hinter Deckungen entfalten zu können. Die Maschinenkanone kann auch bei großer Rohrerhöhung (60 Grad) wirken und lässt sich jederzeit nachladen, ohne dass die Besatzung dazu den geschützten Kampfraum verlassen muss. Optional ist auch ein bemannter Turm verfügbar, wie ihn Rheinmetall etwa für das kanadische CCV-Programm entwickelt hat. Das modulare Schutzkonzept von Rheinmetall Chempro schützt in allen Klimazonen zuverlässig vor Beschuss, Improvised Explosive Devices (IED’s) sowie RPG-7-Panzerfaustgeschossen. Ein leistungsfähigerer Motor und Getriebe steigern die Mobilität, eine Klimaanlage macht das Fahrzeug tauglich für extreme Temperaturen. Wie der Kampfpanzer MBT Revolution auch, lässt sich das IFV/CCV in neue Führungssysteme für die Vernetzte Operationsführung einbinden. Bei dieser IFV/CCV-Upgrade Solution kommen nicht nur Komponenten der einzelnen Rheinmetall-Geschäftsbereiche, sondern auch von Partnerunternehmen zum Einsatz. Der Kunde erhält damit ein System „aus einer Hand“. (ww)
Photo: Rheinmetall

Ordnungspolitik ist nicht genug

Der Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft gründet auf einem gesunden Misstrauen gegen die Planungskompetenz des Staates. Wo immer er Betriebe lenkt, drohen betriebswirtschaftliche Erfolgskriterien gegenüber politischen Zielsetzungen in den Hintergrund zu treten. Ineffizienz und Marktverzerrung sind die Folgen. Er soll daher unternehmerische Aktivitäten möglichst unterlassen. Dies heißt jedoch nicht, dass der Staat wirtschaftspolitische Abstinenz zu üben hätte. Er steht vielmehr in der Verantwortung für funktionierende Wirtschaftsprozesse, und seine Rolle erschöpft sich nicht in Moderation, Anstößen und Unterstützung in Krisensituationen. So gilt zumindest nach deutschem Verständnis als seine Kernaufgabe auf diesem Gebiet, überhaupt erst die Rahmenbedingungen für eine möglichst ungestörte Entfaltung der Marktkräfte zu setzen. Dafür hat sich der Begriff Ordnungspolitik durchgesetzt.

Ordnungspolitik stößt mit ihrem Instrumentarium jedoch an ihre Grenzen, sobald sie es mit einer Marktstruktur zu tun hat, die nicht dem Idealtyp - zahlreiche Anbieter, die zahlreichen Nachfragern gegenüberstehen – entspricht. Ein solcher a-typischer Markt ist jener für Verteidigungsgüter. Er ist national fragmentiert, und in diesen nationalen Märkten tritt jeweils der Staat als Nachfragemonopolist auf. Auf der Anbieterseite liegt in Deutschland, anders als in manch anderem EU-Partnerstaat, die unternehmerische Verantwortung zwar in privater Hand. Der Wettbewerb ist gleichwohl eingeschränkt. Manche Unternehmen der mittelständisch geprägten Branche sind mit ihren Technologien nationale Quasi-Monopolisten, die von Systemhäusern in Vorhaben eingebunden werden. Die Zahl der bei Ausschreibungen gegeneinander antretenden Bewerber ist stets überschaubar.

Bereits seine Position als Nachfragemonopolist verschafft dem Staat auf diesem Markt ein strategisches Übergewicht. Dieses wird durch politische Gestaltungsmöglichkeiten noch verstärkt. So kann der Staat, auch ohne gesamtwirtschaftliche Aspekte wie Beschäftigung, Steuerrückflüsse und technologischen Fortschritt zu betrachten, die in den vergangenen Jahrzehnten praktizierte nationale Präferenz aufgeben und den Markt für ausländische Mitbewerber öffnen. Genau diese Drohung steht angesichts der Sparzwänge und des Unbehagens an „Goldrandlösungen“ mit hohem Zeitverzug heute im Raum. Überdies unterwirft der Staat die Verteidigungsbranche einem besonderen Reglement. Er behält sich das letzte Wort vor, wenn ausländische Interessenten eine Übernahme oder den Erwerb relevanter Anteile von Unternehmen planen, und er entscheidet, welche Staaten als Zielländer für den Export von welchen Verteidigungsgütern in Frage kommen – und vor allem welche nicht.

Die Marktposition des Staates ist so stark, dass nicht allein eine Reduzierung oder gar ein Ausfall seiner Nachfrage die Anbieter zu einschneidenden Anpassungen zwingt. Bereits eine länger anhaltende Phase der Unsicherheit über seinen zukünftigen Bedarf kann diesen Effekt nach sich ziehen. Der „Durchhaltefähigkeit“ insbesondere von mittelständischen Unternehmen sind unerbittliche Grenzen gesetzt. Kapazitäten können sie nur aufrechterhalten, wenn sie die begründete Erwartung hegen dürfen, diese alsbald wieder rentabel auszulasten. Ist dies nicht der Fall, werden Engagements beendet, Arbeitsplätze abgebaut und Fähigkeiten notfalls auch unwiderruflich aufgegeben. Eine privatwirtschaftliche aufgestellte Verteidigungsindustrie kann nicht als Sponsor auftreten, um technologische Kompetenzen in welcher Spezifizierung auch immer vorrätig zu halten, weil sie dem Staat aus sicherheitspolitischen Erwägungen vielleicht als wichtig erscheinen.

Die Verantwortung liegt somit beim Staat, mag er diese Rolle annehmen oder nicht. Will er sicherstellen, dass ihm der Zugriff auf bestimmte industrielle Kernfähigkeiten der Verteidigungswirtschaft am Standort Deutschland möglich bleibt, muss er die Entscheidung treffen, welche dies sein sollen, und seine Entscheidung durch entsprechende Auftragsvergaben umsetzen. Er kommt also nicht umhin, auf diesem Sektor Industriepolitik zu betreiben, so verpönt dieser Begriff hierzulande auch sein mag. Weicht er dieser Entscheidung aus, indem er sich auf das ordnungspolitische Credo zurückzieht, nur den Rahmen zu setzen und ansonsten alles dem Markt zu überlassen, betreibt er nämlich wider Willen ebenfalls Industriepolitik, allerdings eine ohne Gestaltungswillen und Konzept . Da der Markt für Verteidigungsgüter kein regulärer ist, ist das Vertrauen darauf, dass das freie Spiel der Kräfte zu effizienten und darüber hinaus auch noch politisch wünschenswerten Ergebnissen führt, unbegründet und unverantwortlich. Es ist sicher richtig, dass die Bundeswehr andere Aufgaben hat, als Industriepolitik zu betreiben. Irgendjemand wird sich auf dem Gebiet der Verteidigungsindustrie aber dieser Aufgabe stellen müssen.

Peter Boßdorf