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Donnerstag, 15. Oktober 2015

Der Gewehrskandal - symptomatisch dür die Sicherheitspolitik

Berlin (ww) Seit gestern ist klar: Das G36 wird nicht als Skandalgewehr in die deutsche Handwaffengeschichte eingehen, sondern die gesamte Affäre um die Waffe als Gewehrskandal. Was aufmerksamen Beobachtern schon zu Beginn der Tragödie auffiel, hat sich nun bestätigt: Diejenigen, die das G36 anwenden (müssen), zeigen sich mit der Waffe zufrieden. Praktiker bewerten halt nach anderen Kriterien als Politiker, Partikularinteressenvertreter, Plastikphilosophen und Presse.

In der G36-Affäre blieb manch einer auf Tauchstation - allerdings aus anderen Gründen statt den hier gezeigten. Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr 
Der Gewehrskandal geht aber noch tiefer. Er steht symptomatisch für die Krise der Bundeswehr. Und die folgt in erster Linie daraus, daß verwaltet statt geführt wird. Eine klare Positionierung hinsichtlich des G36 (und vieler anderer Themen) hat man von denjenigen, die die Armee seit der Ägide Volker Rühes zu ihren höchsten Führern auserkoren hat, in den letzten Jahren zwar nicht erwarten können. Aber es hätte es gereicht, nach dem Grundsatz „Ansprechen – Beurteilen – Folgern“ vorzugehen und sich ein eigenes Bild zu verschaffen, statt in Deckung zu bleiben und die Stimmungen aus dem Ministerinnen- und Ministerbüro abzuwarten.

Zu militärischer Führung und Verantwortung gehört es aber auch, Ungnade zu wählen, wo Gehorsam keine Ehre bringt. Wie es um diesen in Sonntagsreden – vornehmlich bei Gelöbnissen um den 20. Juli herum – betonten Grundsatz wirklich bestellt ist, sieht man nicht zuletzt am generellen Zustand der Bundeswehr. Es ist bedauerlich, daß die sicherheitspolitisch weitgehend desinteressierte Öffentlichkeit von der strukturellen, industriellen und intellektuellen Demilitarisierung unseres Landes und erst Recht von der Verwahrlosung der Staatsbürger und Staatsbürgerinnen in Uniform so wenig Notiz nimmt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bundeswehrführung demnächst nicht auf teuren, sondern guten Rat setzt, um die Streitkräfte gemäß ihres verfassungsmäßigen Auftrags neu auszurichten (man darf unterstellen, daß Artikel 87a GG einsatzbereite Streitkräfte meint, die der Bund zur Verteidigung aufstellt). Es braucht keine externen Consultants, um die Streitmacht wieder auf Spur zu bringen. Wohin Managementmethoden statt Unternehmergeist führen, hat schon die produktive Industrie hierzulande schmerzhaft erfahren müssen. Es braucht jetzt alte aber bewährte Tugenden, die dieses Land und seine Armee einst so stark gemacht haben: Führungsstärke, Verantwortungsbewußtsein, Leistungswille, Teamgeist, Charakter und esprit de corps.

Jan-Phillipp Weisswange