Berlin (ww) Der Kampf gegen den Extremismus jeglicher Coleur ist aller Ehren wert. Vorausgesetzt, er richtet sich gegen die Richtigen. Wenn nicht, ist er kontraproduktiv. Das lässt sich derzeit bei der Bundeswehr beobachten. Hier erreicht das Verhältnis zwischen Truppe und Bundeswehrführung gegenwärtig einen neuen Tiefpunkt.
Zwar entschuldigte sich die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt im Frieden vor versammelter Spitzenkräftemannschaft für ihren
Generalverdacht bezüglich Haltungs- und Führungsproblemen. Aber zur Ruhe kommen die deutschen Streitkräfte trotzdem nicht. So führte die Ministerin im Standort eines als mutmaßlichen Rechtsterroristen enttarnten Oberleutnants medienwirksam einige Wehrmachtsdevotionalienfunde vor. Das nahm sie wiederum zum Anlass, eine „Säuberung“ (!) der Bundeswehr zu befehlen. Und der in den vergangenen Jahren eher unauffällig agierende Generalinspekteur ordnete eine entsprechende Durchsuchung aller Kasernen an. Spötter fürchten unterdessen, daß das Wachbataillon demnächst mit G36 statt Karabiner 98k paradieren werde. Oder daß die Verpflegungsaufnahme aus dem nierenförmigen Kochgeschirr zum melderelevanten Vorkommnis werde. Oder daß es nun endlich einen Anlass gebe, modernere Gefechtshelme beschleunigt einzuführen, die nicht die charakteristische Kalottenform des Stahlschutzhelmes Modell 1916 und dessen Nachfolgern aufweisen.
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Spötter befürchten angesichts der angekündigten "Säuberung", daß das Wachbataillon den Karabiner 98k bald auf den Müllhaufen der Militärgeschichte schmeissen muss. (Foto: Bundeswehr) |
Ja, viele Bundeswehrsoldaten der ersten Stunde und einige deutsche Verteidigungsminister hatten in der Wehrmacht gedient. Ja, Bundeskanzler Konrad Adenauer gab am 3. Dezember 1952 eine Ehrenerklärung für die Wehrmachtssoldaten ab. Ja, viele unserer Freunde und Partner sehen die Bundeswehr in einer Linie mit den deutschen Vorgängerarmeen. Ja, deren vor allem auf der Auftragstaktik beruhende militärische Schlagkraft bewundern selbst ehemalige Kriegsgegner bis heute. Ja, trotz alledem war die Wehrmacht als Gesamtorganisation das Instrument eines verbrecherischen Regimes und ist daher nicht traditionsbegründend für die Bundeswehr. Ja, es gibt entsprechende und viele Male objektiv diskutierte Traditionserlasse. Ja, es gibt leider auch in der Profi-Armee Bundeswehr trotzdem immer wieder ein paar Verwirrte, die sich an undifferenzierter „Unsere-tapferen-Ritterkreuzträger-der-Waffen-SS-verteidigen-die-ostpreußische-Heimat“-Heldenverklärung aufgeilen oder noch schlimmeren Spinnereien anhängen. Ja, diese Idioten blieben immer eine ärgerliche Ausnahme und wurden konsequent aus dem Dienst entfernt. Und ja, die Bundeswehr steht gegenwärtig vor ganz anderen Herausforderungen. Es wäre zielführender, jetzt eine zukunftsweisende sicherheitspolitische Diskussion zu führen, als eine alte Debatte um Selbstverständlichkeiten zum xten Male neu aufzuwärmen.
Dazu kommt, daß andere Aspekte des jüngsten Bundeswehr-Skandals so wenig mediale Beachtung finden: Wenn ein Oberleutnant mit wirren Ansichten, dafür aber ohne Papiere und arabische Sprachkenntnisse ein Doppelleben als anerkannter syrischer Flüchtling führen kann – was ist dann beim Schutz unseres Landes vor Extremisten sonst noch schief gelaufen? Will man unser Land überhaupt weiter schützen? Selbst bekennende Taliban dürfen nicht in ihre Heimat am Hindukusch ausgeliefert werden – und das, obwohl die afghanische Regierung nicht nur mit Milliarden Euro und Dollar, sondern auch unter blutigen Verlusten unterstützt wurde und wird. Und warum können fundamentalistische Gefährder inzwischen ein Doppelleben als Bundeswehrsoldaten führen? 20 Islamisten enttarnte der Militärische Abschirmdienst Ende letzten Jahres, weitere 60 Verdachtsfälle stehen in Rede.
Wie gesagt: Der Kampf gegen Extremismus jeglicher Coleur ist aller Ehren wert. Vorausgesetzt, er richtet sich gegen die Richtigen. Nun sind die Soldaten der jahrzehntelang vernachlässigten Parlamentsarmee Bundeswehr gewohnt, daß für sie bei jeglichen Skandalen offenbar die Schuld- und nicht die Unschuldsvermutung gilt. Doch gerade vor dem Hintergrund der jetzt verdrängten Versäumnisse sei noch einmal an den Eid erinnert, den jeder Bundeswehrsoldat geleistet hat: "Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“ Es erscheint wenig verwunderlich, daß der jüngste ministerielle Aktionismus an der Basis nicht als ehrenwertes Engagement, sondern als ehrabschneidender Entlastungsangriff auf Kosten der Truppe gilt.
Jan-Phillipp Weisswange