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Mittwoch, 18. Oktober 2017

40 Jahre Operation Feuerzauber

Mogadischu/Sankt Augustin (ww) In der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977 führte die GSG 9 die „Operation Feuerzauber“ zur Befreiung der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ durch.

Das eigens zum Festakt "40 Jahren Feuerzauber" angefertigte Abzeichen (Foto: JPW)
Sie gilt bis heute als Lehrstück für erfolgreiche Kommandooperationen. Und sie ist ein Beleg dafür, daß sich der Kampf gegen den Terrorismus lohnt.
Der Flug LH181 am 13. Oktober 1977 von Palma de Mallorca nach Frankfurt sollte nur etwas über ein Stunde dauern. Er entpuppte sich für die 82 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder an Bord als mehrtägiges Martyrium. Denn ein vierköpfiges Terroristenteam – zwei Frauen und zwei Männer – übernahmen gegen 14.30 Uhr die Gewalt an Bord der Boeing 737-200 „Landshut“. Die Forderungen des Kommandos „Martyr Halimeh“ unter Führung von „Captain Mahmud“: Freilassung elf inhaftierter deutscher linksextremistischer Terroristen, zweier in der Türkei inhaftierter palästinensischer Terroristen sowie 15 Millionen US-Dollar Lösegeld. Andernfalls sollten alle Geiseln und der durch die Rote Armee Fraktion (RAF) am 5. September 1977 entführte Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer getötet werden. Das Ultimatum sollte am 16. Oktober auslaufen.

Irrflug nach Mogadischu
Anders als die Entführer angenommen hatten, zeigten sich die arabischen Staaten in den nächsten Tagen nicht gewillt, in die Krise hineingezogen zu werden. Sie verweigerten der „Landshut“ die Landung. Der Irrflug der Maschine mit dem Luftfahrzeugkennzeichen D-ABCE führte nach Zwischenlandungen in Rom, Larnaka und Bahrain zunächst am 14. 10. nach Dubai. Dort gab es zähe Verhandlungen jedoch ohne Ergebnis. Am 16. 10. startete die Maschine dann nach Aden. Hier musste die Landshut neben der gesperrten Piste landen. In Aden erschossen die Terroristen auch Flugkapitän Jürgen Schumann. Co-Pilot Jürgen Vietor musste die „Landshut“ schließlich nach Mogadischu steuern, wo sie in den frühen Morgenstunden des 17.10. eintraf.


Die Flugroute der entführten "Landshut" (Grafik: Wikipedia)

Klare Fronten
Im Bundeskanzleramt in hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt nach der Entführung der „Landshut“ einen Krisenstab gebildet. Die klare Linie lautete: Den Forderungen der Terroristen wird nicht nachgegeben. Gleichwohl folgte Staatsminister Hans-Jürgen „Ben Wisch“ Wischnewski mit einem Verhandlungsteam in einer Sondermaschine dem entführten Flugzeug.  Auch die GSG 9 war unmittelbar nach der Entführung alarmiert worden, um sich für eine Befreiungsoperation bereitzuhalten. Ein Einsatzverband unter Leitung ihres Kommandeurs, Oberstleutnant i. BGS Ulrich K. Wegener, war der „Landshut“ zunächst in einer Sondermaschine der Lufthansa gefolgt und hielt sich in Ankara bereit. Als die „Landshut“ in Dubai gelandet war, flogen Wegener, dessen Adjutant Baum und Unterführer Dieter Fox ebenfalls dorthin. Sie stießen zum „Ben Wisch“-Team. Zu einer geplanten Befreiungsoperation kam es nicht mehr. Von Dubai aus ging es dann ebenfalls nach Mogadischu, wo sie am 17. Oktober um die Mittagszeit eintrafen.
Im "Ben-Wisch-Team": Wegener (Mitte) und Gerhard Boeden, Abteilungsleiter Terrorismusbekämpfung im BKA (rechts, mit der heute an Bord verbotenen Zigarette) (Foto: Archiv Bundespolizei)
Ben Wisch gelang es, bei der somalischen Regierung die Erlaubnis für eine gemeinsame Operation deutscher und somalischer Kräfte zu erwirken. Zum Schein ging die Bundesregierung dann auf die Forderungen der Entführer, welche die Maschine bereits zur Sprengung vorbereitet hatten, ein. Sie bat um eine weitere Verlängerung der Frist, um die Gefangenen zum Austauschort transportieren zu können. Die Entführer setzten ein letztes Ultimatum, welches am 18.10. um 1.30 Uhr auslaufen sollte.

Die GSG 9 kriegt das „Go“
Der deutsche GSG 9-Einsatzverband – er war aus Tarnungsgründen von Ankara zurück nach Sankt Augustin und dann nach Kreta geflogen – landete am 17. Oktober gegen 19.30 (MEZ) Uhr in der Dunkelheit und wurde auf den nördlich angrenzenden militärischen Teil des Flughafens Mogadischu gelotst. Somalische Kräfte riegelten den Flughafen ab.
Die Ausgangslage in Mogadischu am 17.10.1977 abends. Skizze von Barry Davies (Foto: JPW)
Die Verhandlungsexperten im Wischnewski-Stab lenkten die Entführer durch einen intensiven Funkverkehr über die bevorstehende vermeintliche Gefangenenübergabe ab. Der Einsatzverband machte sich nach der Landung bereit. An ihrer Boeing 707 „Stuttgart“ erfolgte das Rehearsal, die Abschlussübung vor dem Zugriff. Wegener meldete Helmut Schmidt Einsatzbereitschaft und zeigte sich überzeugt vom Einsatzerfolg. Noch am Abend erhielt er telefonisch den Einsatzbefehl durch den Bundeskanzler.

Ablauf der Operation
Die Kräfteeinteilung stellte sich wie folgt dar: Das zehn Mann starke Aufklärungs- und Präzisionsschützenkommando stand unter Führung des stellv. Kommandeurs, Major i. BGS Klaus Blätte. Zur Ausstattung gehörten Scharfschützengewehre Mauser S66 mit Nachtsichtgeräten „Nachteule“ sowie Aufklärungstechnik. Das Zugriffsteam wurde von Wegener geführt. Es bestand aus sechs Sturmtrupps (einer pro Tür) zu je fünf Mann. Dazu kamen noch ein Sanitäts- und ein Reservetrupp mit drei bzw. fünf Mann sowie ein Pioniertrupp mit vier Mann. Die beiden SAS-Männern Major Alistair Morrison und Sergeant Barry Davis waren hier ebenfalls zugeordnet. Sie hatten ihre brandneuen „Stun-Grenades“, Blitzknallgranaten mitgebracht. Zur übrigen Bewaffnung und Ausrüstung gehörten Revolver S&W .38 und Pistolen P9S zum Arbeiten in der Maschine, MP5, neuartige „Bristol“-Schutzwesten aus britischer Produktion, dazu noch spezielle gummibeschichtete Leitern.
Die P9S diente seinerzeit als eine der Standard-Seitenwaffen der GSG 9. (Foto: JPW)
Für die zu evakuierenden Geiseln wurde ein Sammelraum abseits der Maschine eingerichtet. Somalische Streitkräfte bildeten einen äußeren Ring und bereiteten zudem ein Feuer einige hundert Meter vor dem Cockpit der „Landshut“ für ein Ablenkungsmanöver vor.
Um etwa 22.00 Uhr gingen die Kräfte in die Ausgangsstellung. Die Aufklärer und Präzisionsschützen arbeiteten sich auf etwa 30 Meter an die Maschine heran und lieferten stetig Aufklärungsergebnisse. Ab etwa 23.00 Uhr begann die Annäherung der Zugriffskräfte. Sie erreichten die Maschine um etwa 23.30
Annäherung der Sturmtrupps an die "Landshut". Nachgestellte Szene aus dem Spielfilm "Mogadischu" (2008) von Roland Suso Richter (Regie) und Maurice Philip Remy (Drehbuch)
23.50 Uhr: Die somalischen Soldaten entzünden das Ablenkungsfeuer. Die Verhandlungsgruppe im Tower fragt über Funk beim Terroristenführer Captain Mahmud die Übergabebedingungen ab.
23.55 Uhr: Die Sturmtrupps nehmen ihre Sturmausgangsstellungen ein
00.00 Uhr: Spezielle Leitern werden an die vier Türen und an die beiden Notausgangsbereiche hinter den Tragflächen gelegt, die Trupps gehen in Position.
00.05 Uhr: Auf das Kommando „Feuerzauber“ zünden die beiden SAS-Männer mehrere Blitzknallgranaten, nahezu gleichzeitig öffnen die Sturmtrupps die Türen. Fünf Sturmtrupps dringen in die Maschine ein, der Trupp 2 (vorne rechts) muss aufgrund von Hindernissen ausweichen und hinter Trupp 1 (vorne links) nachrücken.
"Feuerzauber" - Gemälde von Heinrich Achten (Foto: JPW)
Im Flugzeuginneren entwickelt sich ein Feuerkampf. Trupp 1 schaltet im Cockpit Mahmud aus. Eine Terroristin wird im Gang der Ersten Klasse getroffen und schwer verletzt – sie überlebt. Der dritte Terrorist kann bevor er ausgeschaltet wird noch zwei Handgranaten werfen, deren Explosion die Stewardess Gabriele Dillmann (heute von Lutzau) am Bein verletzen. Eine vierte Terroristin wird auf der vorderen Bordtoilette neutralisiert. Ein GSG 9-Einsatzbeamter erleidet eine leichte Verwundung durch einen Halsdurchschuss.
Noch während des Feuerkampfes beginnt im hinteren Bereich (Trupp 5 und 6) und über die Notausstiege (Trupp 3 und 4) die Evakuierung.
00.12 Uhr: Wegener meldet „Springtime“ – das Codewort für den erfolgreichen Abschluss der Aktion.


Evakuierung der Geiseln über die Eindringstelle des Trupps 3 (Foto: Archiv Bundespolizei)

Bilanz: Alle 86 Geiseln befreit, drei leicht verwundet, ein GSG 9-Mann leicht verwundet, drei von vier Terroristen getötet, eine Terroristin schwer verletzt an die somalischen Behörden übergeben.
Die Befreiten wurden noch am 18. Oktober mit einer Sondermaschine nach Frankfurt a. M. gebracht. Die GSG 9 landete ebenfalls am 18. Oktober gegen 15.30 Uhr auf dem Flughafen Köln/Bonn.
Die Firma Böker brachte bereits zum 20. Jubiläum der Operation Feuerzauber eine Sonderedition ihres Fairbairn-Applegate-Dolches heraus (oben); dieses Jahr legte sie erneut eine auf 500 Stück limitierte Serie auf. (Foto: JPW)

Nachwirkungen und Bewertung
So groß die Freude über die gelungene „Operation Feuerzauber“ ausfiel, endete der „Deutschen Herbst 1977“ doch dramatisch. Noch am 18. Oktober 1977 nahmen sich im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheimn die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl-Raspe das Leben, ihre Genossin Irmgard Möller wurde schwer verletzt aufgefunden. Die RAF erschoss am 18. Oktober 1977 Hanns-Martin Schleyer. Dennoch hatte die Bundesrepublik Deutschland unter Beweis gestellt, daß sie sich nicht durch terroristische Gewalt erpressen ließ. Es gab aber seither nie wieder einen Versuch der RAF, Gefangene durch Geiselnahmen freizupressen. Wesentlich trug zu diesem strategischen Erfolg sicherlich die Einstellung der damaligen Bundesregierung gegenüber ihren Sicherheitskräften bei: Sie vertraute auf deren Können und setzte sie entschlossen ein.

Jan-Phillipp Weisswange




Literaturhinweise

Ulrich Wegener mit Ulrike Zander und Harald Biermann: GSG 9. Stärker als der Terror. Berlin 1/2017: LIT-Verlag
Kaj-Gunnar Sievert: Kommandounternehmen. Spezialeinheiten im weltweiten Einsatz. Hamburg u. a. 1/2004: Mittler Verlag
Barry Davies: Fire Magic. Hijack to Mogadishu. London 1/1994: Bloomsbury Publishing