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Donnerstag, 3. Januar 2013

Nachruf Dr. Peter Struck (1943 - 2012)

Berlin/Uelzen (ww) Am 19. Dezember 2012 verstarb der ehemalige Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck. Der sozialdemokratische Vollblut-Politiker, passionierte Pfeifenraucher und Motorradfahrer diente von 2002- 2005 als Bundesminister der Verteidigung.

Bundesminister a. D. Dr. Peter Struck (1943 - 2012). Foto: SPD
Bürger, Soldaten, Journalisten und Politiker schätzten seine Geradlinigkeit und seine Verlässlichkeit. Seine prägnante Formulierung aus dem Dezember 2002 „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird eben auch am Hindukusch verteidigt“ markiert bis heute einen Meilenstein im Umdenken deutscher Sicherheitspolitik.
Dr. Peter Struck wurde heute, am 3. Januar 2013,  in seiner Heimatstadt Uelzen in der Lüneburger Heide zu Grabe getragen. Der S&T-Blog spricht der Familie, den Freunden und Weggefährten Peter Strucks sein herzliches Beileid aus. Weiter unten veröffentlichen wir die Traueransprache des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière.

Rede des Bundesministers der Verteidigung, Thomas de Maizière, anläßlich der Trauerfeier für Bundesminister a. D. Peter Struck am 3. Januar 2013 in Uelzen. Es gilt das gesprochene Wort!

„Verehrte Frau Struck,
verehrte Familie und Freunde von Peter Struck,
liebe Kollegen aus der Politik,
liebe Trauergemeinde!
Wir trauern heute um Peter Struck. Wir sind in seine Heimat gekommen, um ihm das letzte Geleit zu geben. Jeden von uns verbinden ganz unterschiedliche Erinnerungen mit ihm. Ich habe ihn vor allem als Chef des Bundeskanzleramtes in der Zeit der Großen Koalition erlebt, als er – wieder – Fraktionsvorsitzender der SPD war. Im Spätsommer 2012 sind wir zusammen nach Bayern geflogen um Georg Leber zu beerdigen. Unvorstellbar vor wenigen Wochen, dass wir alle heute hier sind, um ihn zu beerdigen.
Den Menschen Peter Struck kannte niemand so gut wie Sie, verehrte Frau Struck und liebe Familie Struck. Sein Dienst war immer auch Ihr Dienst. Sie werden ihn oft vermisst haben, als sie ihn gebraucht haben. Ihre Trauer ist auch unsere Trauer.
Die Gedanken der ganzen Bundeswehr sind heute bei Ihnen. Als Ihr Ehemann, Vater und Großvater im Oktober 2005 aus dem Amt des Verteidigungsministers verabschiedet wurde, war er bewegt von der – wie er schrieb – „Woge der Sympathie“, die er erlebte. Sie hält bis heute an.
Peter Struck ist in den Jahren seines Dienstes als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt Teil der Bundeswehr geworden. Er ist es auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt geblieben.
Peter Struck hat sich nie nach dem Minister-Amt gesehnt, schon gar nicht nach dem des Verteidigungsministers. Daraus hat er auch keinen Hehl gemacht.
Er wähnte seine Aufgabe eher in seiner Fraktion als auf der Regierungsbank. Er war Parlamentarier durch und durch.
Volksvertreter sein, das hieß für ihn, – ich zitiere ihn – „Sorge zu tragen für die, deren Vertrauen man genießt“.
Im Juli 2002, zwei Monate vor einer Bundestagswahl mit ungewissem Ausgang, wurde er ziemlich energisch gebeten, das Amt des Verteidigungsministers zu über-nehmen. Er ließ sich in die Pflicht nehmen. Fortan trug er Sorge für die Soldaten und Mitarbeiter der Bundeswehr. Gleich zu Beginn seiner ersten Regierungserklärung (25.07.2002) sagte er: „Ich stelle mich uneingeschränkt der Verantwortung für die Menschen in der Bundeswehr“.
Mit seinen Besuchen im Hochwassereinsatz im August 2002 gewann er ihr Zutrauen. Und bald genoss er auch ihr Vertrauen – ebenso wie das seiner politischen Gesprächspartner, in allen Fraktionen. Peter Struck trat authentisch in der Bundeswehr auf. Und er trat authentisch für die Bundeswehr ein. Er war ein Typ: knorrig, rau, herzlich, direkt, humorvoll – auch scharf.
Seinen persönlichen Weg in und mit der Bundeswehr beschrieb Peter Struck rückblickend mit den Worten: „Hinter mir liegt die wunderbare Erfahrung, als Bundesminister der Verteidigung ein Amt lieben gelernt zu haben, das ich zuvor rundweg abgelehnt hatte.“
Diese Erfahrung hat Peter Struck gemeinsam mit den Angehörigen der Bundeswehr gemacht – und sie mit ihm. Sie spürten: Sein Amt wurde ihm wichtig, weil sie ihm wichtig waren. Sie wussten: Für ihn war ihr Auftrag auch sein Auftrag.
Um die Bundeswehr in die Lage zu versetzen, dass sie ihren Auftrag auch unter veränderten sicherheits-politischen Rahmenbedingungen erfüllen kann, trieb Peter Struck die Transformation der Bundeswehr voran. Er scheute dabei auch schwierige Entscheidungen zu Standorten und Führungsstrukturen nicht. Vor meinen Entscheidungen über Standortschließungen habe ich mich mit ihm unter vier Augen beraten. Sein Rat war: gut überlegen, alleine entscheiden, Kanzlerrücken-deckung sichern und dann nicht wackeln. So habe ich es dann auch gemacht.
Grundlage für seine Entscheidungen waren neue Verteidigungspolitische Richtlinien, die er im Frühjahr 2003 erlassen hatte. Viele Kernaussagen sind bis heute aktuell. Zum Beispiel: „Verteidigung heute umfasst […] weit mehr als die herkömmliche Verteidigung an der Landesgrenze. Unsere Sicherheit wird auch an anderer Stelle dieser Erde verteidigt.“
In seinem wohl meist zitierten Satz übersetzte Peter Struck diese generelle Erkenntnis in die aktuelle sicherheitspolitische Diskussion: „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Mit dieser zugespitzten Formulierung gelang es ihm, die manchmal zähe sicherheits-politische Debatte zu beleben. Es war nur einer seiner vielen Beiträge dazu, das Bewusstsein für die internationale Verantwortung Deutschlands zu schärfen – innerhalb und außerhalb der Bundeswehr. Und das in einer Sprache, die jeder verstand.
Peter Struck wusste, dass die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur in enger Abstimmung mit unseren Bündnispartnern zu gestalten ist. Er war an wegweisenden Entscheidungen zur Zukunft der NATO und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union maßgeblich beteiligt, so bei der zweiten Runde der NATO-Osterweiterung und bei der Aufstellung der NATO Response Force. Wie kaum ein anderer verkörperte Peter Struck den Wandel der Verteidigungspolitik unseres Landes. Er wurde nicht müde, die neuen Aufgaben zu erklären. Und die damit einhergehenden Veränderungen auch für den Dienst des einzelnen Soldaten zu erläutern.
Peter Struck bereitete den Weg der Bundeswehr von einer Armee für den Einsatz hin zu einer Armee im Einsatz.
Er schonte sich nicht und zahlte einen hohen gesundheitlichen Preis. Alle hier wissen das. Er redete nicht gerne darüber. Dieser scheinbar locker lässige Mann war ein Mensch voller Disziplin.
Ihm wuchs die herausfordernde Aufgabe zu, die Bundeswehr in den Einsatz nach Afghanistan zu führen. Er hoffte, dieser würde kurz ausfallen. Gleichzeitig warb er dafür, realistisch zu planen.
Dazu gehörte für ihn auch die Entscheidung, die Führung des internationalen Einsatzes in Afghanistan der NATO zu übertragen. Die Bündnispartner dafür zu gewinnen, das war vor allem das Verdienst von Peter Struck.
Das Bündnis steht auch zehn Jahre später zur übernommenen Verantwortung. Und das, obwohl sich der Einsatz in Afghanistan in vielerlei Hinsicht anders entwickelt hat als vorhergesehen. Peter Struck stand – anders als andere – immer zu seiner Verantwortung für den Einsatz in Afghanistan.
Aus einem Stabilisierungseinsatz rund um Kabul wurde ein Kampfeinsatz im ganzen Land. Mit allen Folgen, auch für die Bundeswehr: Bisher unbekannte militärische Herausforderungen, Verwundete, Tote und Gefallene.
Diesen steinigen Weg ging Peter Struck gemeinsam mit der Bundeswehr. Er führte sie, auch und vor allem in den schwersten Stunden.
Wir erinnern uns: Am 21. Dezember 2002 wurden bei einem Hubschrauber-Absturz in Kabul sieben deutsche Soldaten getötet. Peter Struck nahm ihre Särge am 1. Weihnachtstag am Flughafen in Köln-Wahn in Empfang. Bei aller Vorbereitung auf diesen Moment, war er – nach seiner eigenen Darstellung – „erst mal wortlos, fassungslos und erklärungslos“.
Jahre später schrieb er über diesen Moment: „Was auch immer zu dem Unfall geführt hatte, ich trug die Verantwortung für den Tod der Soldaten. Ich hatte sie in den Einsatz geschickt.“ Nicht nur innerlich, auch nach außen hin übernahm Peter Struck persönlich politische Verantwortung. Das machte ihn so glaubwürdig.
Sechs Monate später, am 7. Juni 2003, riss ein Selbstmordanschlag auf einen Bus der Bundeswehr vier deutsche Soldaten in den Tod, 29 weitere wurden teils schwer verletzt. Die Bundeswehr war zum Ziel von gegnerischen Angriffen geworden. Peter Struck musste die ersten gefallenen deutschen Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg zu Grabe tragen.
Die Worte, die er gegenüber den Angehörigen in der Trauerfeier fand, sind bewegend: „Worte des Trosts und der Hilfe mögen in diesen Minuten vor der Größe Ihres Schmerzes schier versagen. Sie sollten aber wissen, dass Sie sich in der Stunde der Not auf das Band der Kameradschaft und der Treue verlassen können, das Ihre Männer, Väter und Söhne in ihrem soldatischen Leben verbunden hat.“
Peter Struck hielt, was er versprochen hatte.
Sinnbildlich dafür steht seine Begegnung mit einem beim Busanschlag schwerverwundeten Soldaten im Bundeswehr-Krankenhaus Koblenz. Für die Zeit des persönlichen Gesprächs zwischen ihm und dem jungen Mann, der ein Bein und ein Auge verloren hatte, bat Peter Struck seine Begleiter, den Raum zu verlassen. Das entsprach seiner Art. Er schuf Vertraulichkeit, um Vertrauen aufzubauen. Und er schuf den Raum, als Minister auch Mensch sein zu können. 
Den ursprünglichem Wunsch des Mannes, Berufssoldat zu werden, konnte Peter Struck aus Rechtsgründen nicht erfüllen. Aber er sagte ihm einen Arbeitsplatz in der Bundeswehrverwaltung zu. Und er hielt Wort.
Heute wissen wir: In diesem Moment begann der lange Weg zum Einsatz-Weiterverwendungsgesetz. Peter Struck ging ihn, trotz mancher Widerstände.
Den weiteren Weg des versehrten Mannes im gehobenen Verwaltungsdienst verfolgte Peter Struck aufmerksam. Bis zu seinem letzten Moment als Bundesminister der Verteidigung: Im Rahmen seiner Abschiedsfeier bat er den ehemaligen Soldaten zu sich auf die Bühne, um sich persönlich von ihm zu verabschieden. Er nutzte den Moment, um ein letztes Mal an die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber ihren Soldaten zu erinnern – ein bewegender Moment für alle, vor allem für die Soldaten.
Heute holen wir Peter Struck im übertragenen Sinne auf die Bühne. Heute holt ihn die Bundeswehr auf die Bühne. Als Zeichen ihrer besonderen Gemeinschaft, die er so schätzen gelernt hatte.
Die Bundeswehr war für ihn – wie er es im Mai 2003 an der Führungsakademie in Hamburg selbst formulierte – die „größte Wir-AG in Deutschland“.
Peter Struck hat dieses „Wir“ mitgeprägt. Durch seine direkte Ansprache. Durch seine auf Vertrauen basierende Führungskultur.
Peter Struck hat dieses „Wir“ gelebt. Beim Gespräch mit den einzelnen Soldaten und Mitarbeitern ebenso wie durch unvergessene Gesangseinlagen am Mikrofon.
Peter Struck hat sich in dieses „Wir“ eingereiht. Die Bundeswehr wird ihn so in ihren Reihen halten.
Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, wir alle werden ihn, seine Persönlichkeit und seinen Dienst an unserer Demokratie, in Erinnerung halten. Peter Struck hat sich um unser Vaterland verdient gemacht.“