Die Arbeit am Weißbuch 2016 beginnt. Foto: Bundeswehr |
Keine Frage: Die zugunsten konstabulisierter Krisenbewältigung vernachlässigte Landes- und Bündnisverteidigung braucht einen neuen Stellenwert. Das gilt sowohl in gesellschaftlicher, militärischer als auch ressortgemeinsamer Perspektive. Daß sich insbesondere die mittelosteuropäischen NATO-Partner durch fünf- bis achttausend für eine „Sehr schnelle Eingreiftruppe“ geearmarkte europäische Berufssoldaten ausreichend abwehrbereit fühlen, darf man getrost bezweifeln. Ebenso darf man bezweifeln, daß man hierzulande ausreichend auf eine „hybride Kriegführung“ oder auf ins Land getragene asymmetrische Konflikte vorbereitet ist. Ganz abgesehen von der dynamisch verfügbaren Fähigkeit zur durchhaltefähigen streitkräftegemeinsamen symmetrischen Kriegführung. Es fehlt hierzu nicht nur an Konzeptionen und an Kampfkraft, sondern vor allem an einem gesellschaftlichen Konsens.
Das Weißbuch 2016 muß zu diesem Konsens dringend beitragen und sich dabei nicht an dem politisch kurzsichtig Durchsetzbaren, sondern dem staatsmännisch weitblickendem Erforderlichen orientieren. Es muss klare Aussagen und Ableitungen enthalten zur Führungsverantwortung einer 80-Millionen-Mittelmacht, zu einer modifizierten Form der Wehrpflicht, zu Reserven statt Rekonstitution, zu gezielten Aktionen gegen feindliche Schlüsselpersonen und -positionen, zur engeren Verzahnung zwischen innerer und äußerer Sicherheit und zum Erhalt einer starken rüstungsindustriellen Basis. Sonst wird das Weißbuch 2016 nicht viel mehr werden als eine zeitweise bessere Alimentierungsveranstaltung für die sich selbst befruchtende, an den Fleischtöpfen der parlamentarischen Abende durchgefütterten „strategic community“ der Hauptstadt. Und sonst folgt auf die Prunksitzung ganz schnell der dauerhafte sicherheitspolitische Aschermittwoch.
Jan-Phillipp Weisswange