Staatsbürger in Uniform - Sommer 1991 im Reiche der Frau Holle. (Foto: JPW) |
In Wabern stieg Werner aus dem Interregio, um nach Homberg/Efze [nicht nach Bad Hersfeld, wie hier ursprünglich stand, JPW] zum Panzerartilleriebataillon 55 zu stoßen. Kassel-Wilhelmshöhe war Endstation für Andreas, der sich im Nachschubbataillon 2 zu melden hatte. Ich durfte noch dreieinhalb Stunden am Kasseler Hauptbahnhof verbringen, bevor ein Bus andere junge Männer und mich weitere anderthalb Stunden quer durch das nordhessische ehemalige Zonenrandgebiet in die Leipziger Straße 101 zur Blücher-Kaserne mitten im Reiche der Frau Holle brachte. Zu meiner Stubengemeinschaft stießen dann Hansgerd S., Winfried V. und Friedhelm Z. dazu [und noch ein weiterer Kamerad, an dessen Namen ich mich leider nicht erinnere. Er war trotz eines Leistenbruchs eingezogen und noch in der ersten Woche ausgemustert worden]. Und so begann ich vor 25 Jahren als Wehrpflichtiger meine Karriere bei der Bundeswehr.
Die Ausbildung zum Sicherungssoldaten, Orientierungsmärsche, Gemeinsames Ausdauertraining (GAT, später MilKo für "militärisches Konditionstraining"), Selbst- und Kameradenhilfe, Formaldienst, „InFü“ (für „Innere Führung“) und vieles mehr prägten die nächsten zwölf Wochen der frischgebackenen Panzerschützen. Langeweile kam nicht auf. Und auch der blutige Balkankrieg zeigte, daß die Welt keineswegs friedlicher geworden war und Wehrhaftigkeit geboten blieb. Um auf jeden Fall in der goldgelben Truppengattung bleiben zu können und mich auf meinem späteren Lebensweg auch weiter in die Bundeswehr einbringen zu können, fasste ich gegen Ende der Allgemeinen Grundausbildung den Entschluss, mich auf zwei Jahre zu verpflichten und die Reserveoffizierlaufbahn einzuschlagen. Und so wurde ich nicht wie vorgesehen Fahrer eines Bergepanzers 2 in der 1./PzAufklBtl 2 sondern erlernte im III. Zug der 2./PzAufklBtl 2 mein Handwerk als Leopard-2-Mann und später als schwerer Panzeraufklärungszugführer. Nach meinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst habe ich die Truppe nicht nur als Soldat, sondern später auch als Politikwissenschaftler und als sicherheitspolitischer Journalist intensiv begleitet.
Zu meinem im Sommer 1991 gelobten und dann – als Unteroffizieranwärter im Januar 1992 im Panzerbataillon 63 in Arolsen geleisteten – Schwur, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe!“ stehe ich nach wie vor. Gerade deshalb halte ich es für unabdingbar, stetig zur sicherheitspolitischen Debatte in unserem Land beizutragen.
Kurz vor dem feierlichen Gelöbnis. (Foto: JPW) |
Was hat sich seit Abschaffung der Wehrpflicht verändert?
Immer weniger junge Leute beschäftigen sich mit Fragen der Sicherheitspolitik und vor allem dem Dienst in den Streitkräften. Die Bundeswehr steht zwar – anders noch als während des „Kalten Krieges“ – in grundsätzlich gutem gesellschaftlichen Ansehen, aber die Bereitschaft, sich als Soldat in sie einzubringen, ist relativ gering ausgeprägt. Die fehlende „Schaufensterfunktion“ der Wehrpflicht macht sich jedenfalls deutlich bemerkbar.
Reicht die derzeitige Truppenstärke noch aus?
Dazu müsste die Politik zunächst erst einmal formulieren, für was die Truppenstärke denn eigentlich ausreichen soll. Die ohnehin stark reduzierte Truppe plagen Nachwuchssorgen. Aufwuchsfähigkeit und Durchhaltefähigkeit sind kaum noch gegeben. Für den grundgesetzlichen Auftrag, Deutschland zu verteidigen, reicht die Truppenstärke jedenfalls kaum noch aus. Für den Auftrag der Bündnisverteidigung erscheint sie mir ebenfalls ungenügend. Und selbst für die gendarmerieartigen Stabilisierungseinätze muss die Bundeswehr derzeit ihre Kontingente und deren Ausstattung mühsam zusammenkratzen.
Die neue Personalgewinnung ist nun aufwändiger [sic! Ich halte die Rechtschreibdeform für eine stillose Kapitulation vor der Faulheit, JPW]. Bewährt sich das System trotzdem?
Die ohne Zweifel ambitionierten Maßnahmen der Bundeswehr reichen offenbar nicht oder bestenfalls gerade so aus, daß sich genügend Leute für den Dienst in der Truppe interessieren. Allerdings kommen viele Bewerberinnen und Bewerber oftmals mit falschen Vorstellungen in die Streitmacht. Die Bundeswehr schafft es darüber hinaus, durch nicht zu Ende gedachte Maßnahmen wie etwa Weiterverpflichtungsprämien oder Soldatinnen-und-Soldaten-Gleichstellungsdurchsetzungsgesetze, noch denjenigen Idealisten vor den Kopf zu stoßen, die sich bisher nicht von ihr abgewandt hatten. Das Ansinnen, demnächst EU-Mitbürger rekrutieren zu wollen, zeigt zusätzlich den Ernst der Lage bei der Personalgewinnung.
Wünschen Sie sich die Wehrpflicht zurück?
Ich halte zunächst eine grundlegende Streitkräftereform für das Gebot der Stunde, zu der auch eine weiterentwickelte Form einer Wehrpflicht beispielsweise nach Art eines Milizsystems gehört. Das erscheint aus sicherheits- und gesellschaftspolitischen Gründen zeitgemäß. Auch eine Dienstpflicht für Männer und Frauen, die wahlweise bei den Streitkräften oder als Zivildienst abgeleistet werden könnte, wäre eine Option. Wichtig ist auf jeden Fall, daß Wehr- oder Dienstpflichtige gut ausgebildet und sinnvoll eingesetzt werden.
Erinnerungsstücke an das Panzeraufklärungsbataillon 2 |
Jan-Phillipp Weisswange