Dieses Blog durchsuchen

Freitag, 17. August 2012

Kommentar: Bundeswehreinsätze im Innern - Grund zur Sorge?


Das Bundesverfassungsgericht hat heute, am 17. August 2012, seine Plenarentscheidung veröffentlicht, dass die Bundeswehr zum Schutz der inneren Sicherheit militärische Mittel einsetzen darf – wenn auch nur in „ungewöhnlichen Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ und unter strikten Auflagen (http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-063.html).

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bietet Anlaß zur Sorge. Denn es geht nicht um den Pionierpanzer, der Waldbrandschneisen schiebt oder den Transporthubschrauber, der Sandsäcke zu einer Bruchstelle in einem Deich fliegt. Nein, daß dies in Ordnung ist, stellte schon lange niemand mehr in Frage. Grund genug übrigens dafür, nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 im militärischen Organisationsbereich „Streitkräftebasis“ die auf den Schutz kritischer Infrastruktur spezialisierten nicht aktiven Heimatschutzbataillone aufzulösen und Reservisten angesichts des Mangels an Ressourcen für den Katastrophenschutz – gerade mal 1,8 Millionen deutsche Staatsbürger engagieren sich in Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Deutschem Roten Kreuz, Johanniter Unfallhilfe und anderswo – noch verstärkt hierfür einzubinden. Das geschah mit sinnvollen Maßnahmen – etwa dem Aufbau einer bundesweiten Verbindungsorganisation zu den Regierungsbezirken, Kreisen und kreisfreien Städten – und mit weniger sinnvollen Ansätzen, etwa „Reservisten-Kompetenzzügen Katastrophenschutz“. Über die Akzeptanz dieses Neuansatzes bei dem überwiegenden Teil der rund zwölf Millionen Staatsbürger in Uniform der Reserve sagt der gängige Begriff „Flecktarn-THW“ eigentlich alles.

Nein, Sorge bereitet die Karlsruher Entscheidung nicht im Hinblick auf Katastrophenschutzunterstützung durch die Bundeswehr, sondern deshalb, weil sie die militärische Kernkompetenz, das militärische Alleinstellungsmerkmal betrifft – die Fähigkeit zum Kampf. Nun ist das Gütesiegel aus Karlsruhe da: Streitkräfte dürfen als ultima ratio auch zum Schutz der Inneren Sicherheit eingesetzt werden. Im Klartext: Ist die Staatsgewalt in Form der Landespolizeien und der Bundespolizei nicht mehr in der Lage, einen massiven Angriff auf das Staatsvolk im Staatsgebiet abzuwehren, dann dürfen auch die Staatsbürger in (Bundeswehr-)Uniform ihren Staat verteidigen - letztlich also die selbstverständlichste Sache, für die eben dieser seine Streitkräfte unterhält. 

Vor diesem Hintergrund besteht die Sorge, daß die heutige Entscheidung aus Karlsruhe sogar eine neue Qualität deutscher Sicherheitspolitik markiert. Bisher ließen Bundesregierung und Parlament seit der Wiedervereinigung alle sicherheitspolitischen Fragen durch Gerichtshöfe klären, statt sie selbst zu entscheiden. Sei es die Rechtmäßigkeit der Auslandseinsätze (Bundesverfassungsgericht), sei es die Öffnung aller Tätigkeitsbereiche der Streitkräfte für Frauen (Europäischer Gerichtshof). Nur im Falle der Aussetzung der Wehrpflicht ließ sich Karlsruhe nicht in die Pflicht nehmen; für die politische – nicht staatsmännische – Entscheidung zur ihrer Aussetzung reichte dann freilich ein populärer politischer Selbstdarsteller. Neuerdings aber offenbar lassen sich Regierung und Parlament durch das Bundesverfassungsgericht sogar sicherheitspolitische Selbstverständlichkeiten noch haarklein erläutern. 

Wie auch immer: Im sechsten Jahrzehnt der in Sonntagsreden immer wieder beschworenen Inneren Führung herrscht nun endlich Klarheit darüber, daß die Staatsbürger in Uniform ihre Mitbürger ohne Uniform und ihren Staat im Extremfalle auch verteidigen dürfen – nicht nur am Hindukusch, sondern auch in der Heimat!  Es herrscht also kein Grund zur Sorge. Jedenfalls nicht in bezug auf Unterdrückungsgelüste bei den „Staatsbürgern in Uniform“, weder bei den aktiven noch bei denen der Reserve, die zudem noch als Mittler zwischen Streitkräften und Gesellschaft fungieren. In bezug auf unsere gesellschaftliche sicherheitspolitische Sorglosigkeit, Handlungsunwillig- oder -unfähigkeit hingegen um so mehr.

Jan-Phillipp Weisswange