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Donnerstag, 9. Januar 2020

Fernspäher - eine Hochwertressource

„Oculus Exercitus“ lautet der lateinische Wahlspruch der deutschen Fernspäher. Das bedeutet auf Deutsch sowohl „Auge des Heeres“ als auch „geübtes Auge“. Nach Auflösung der Fernspählehrkompanie 200 gibt es keine eigene Fernspähtruppe und damit auch keine eigenständige Fernspähfähigkeit mehr. Doch vieles spricht dafür, sie wieder zu schaffen. Ein Diskussionsbeitrag.



Fernspäher gelten neben den Feldnachrichtenkräften als „menschliche Hochwertsensoren“, die völlig unabhängig von Plattformen oder Sensorträgern ihre Aufklärungsergebnisse gewinnen können. 

Eyes on Target! (Foto: Bundeswehr/HAufklS)
Klassischerweise erfüllen Fernspähkräfte folgende Aufträge:

- Gewinnen von Schlüsselinformationen für die taktische und operative Führungsebene durch Fernspähaufklärung,
- Beiträge zur Raum- und Lageaufklärung,
- Durchführen von Personen-, Objekt- und Zielaufklärung sowie
- Durchführung von Wirkungsaufklärung.

Diese Aufträge können sie in jeder Klimazone, auch in urbanem oder schwierigem Gelände und in bedrohlichen Lagen über mehrere Tage auf sich alleine gestellt durchführen.
Eine besondere Befähigung ist die Optronische Spezialaufklärung (OSA): Das Anfertigen von Stand- und Bewegtbildern in Zieldatenqualität bei Tag und eingeschränkter Sicht und deren Übertragung in Echtzeit. Die so gewonnenen Aufklärungsergebnisse dienen insbesondere zur Verifikation von Aufklärungsergebnissen anderer Aufklärungsträger oder zur positiven Identifikation gesuchter Personen.
Fernspäher im Beobachtungsstand (Foto: Bundeswehr/Christian Vierfuss)

Ein Fernspähtrupp besteht meist aus mehreren Soldaten mit unterschiedlichen Spezialisierungen – beispielsweise Scharfschütze, Sanitäter, Joint Terminal Attack Controller, Hochgebirgsspezialist, Fernmeldespezialist. Der Trupp kann zu Lande, zu Wasser oder aus der Luft in seinen Einsatzraum infiltrieren, nähert sich gedeckt an das Aufklärungsobjekt an und kann dann etwa sieben Tage lang autark von logistischen Versorgungsketten aufklären – häufig stationär, aber auch zu Fuß beweglich. Nach Auftragsende exfiltriert der Trupp unerkannt aus dem Einsatzgebiet. Abhängig von Bedrohungslage oder Gelände können Fahrzeuge Reichweite, Beweglichkeit und Durchhaltefähigkeit steigern.
Beschaffung von Bildmaterial (Foto: Bundeswehr/Christian Vierfuss)

Wie bei Spezialkräften üblich, ist die Personalauswahl für die Fernspäher von entscheidender Bedeutung. Besteht ein Aspirant das Auswahlverfahren, schließt sich eine umfangreiche und vielseitige Ausbildung an, die Verbringungs-, Infiltrations- und Verstecktechniken, eine erweiterte Erst-Hilfe-Ausbildung, besondere Schießtechniken und etliche weitere Themen umfasst. Bis zum Status „combat ready“ vergehen mehrere Jahre.



Fernspähkräfte im Laufe der Zeit
1962 als eigenständige Truppengattung aufgestellt, gehören die Fernspäher seit 2008 zum Kräfteverbund Heeresaufklärungstruppe. Bis 1996 gab es drei Fernspähkompanien – eine pro Heereskorps. Die Fernspäher sollten weit hinter den feindlichen Linien Erkenntnisse für die strategische Ebene gewinnen. Ab 1996 war die Fernspählehrkompanie 200 (Weingarten, später Pfullendorf) Träger der Fernspähfähigkeit. Aus den beiden anderen Fernspähkompanien 100 (erst Braunschweig, dann Celle) und 300 (Fritzlar) rekrutierte sich ein großer Teil der dem KSK zugehörigen Fernspähkommandokompanie. Diese gliederte allerdings zur 4. Kommandokompanie um. Die seinerzeit neu aufgestellte Spezialkommandokompanie führt unter anderem ebenfalls OSA-Kräfte.
Infiltration über Gewässer (Foto: Bundeswehr/Christian Vierfuss)
Nach der Auflösung der Fernspählehrkompanie 200 im Jahr 2015 ging die eigenständige Fernspähfähigkeit verloren. In den beiden Luftlandeaufklärungskompanien 260 und 310 gibt es derzeit jeweils noch zwei Fernspähzüge. Mit der Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung erkannte man jedoch, daß diese auf zwei Einheiten verteilten Kräfte gerade im Hinblick auf den klassischen Einsatz im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV)langfristig nicht ausreichen dürften. Der Aufklärungsbedarf auf Korpsebene im Rahmen der LV/BV ist ein anderer als der eines Auslandseinsatzkontingentes. Daher erwägt das Deutsche Heer gegenwärtig die Wiederaufstellung einer eigenen Fernspähkompanie und damit das Wiedererlangen einer eigenständigen Fernspähfähigkeit. Unzweifelhaft brächte dies auch im Hinblick auf Führungsgrundsätze, Ausbildungsmöglichkeiten und Weiterentwicklung Vorteile.



Einsatzgrundsätze und -erfahrungen
Damit Fernspäher ihre Wirkung voll entfalten zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen für einen Fernspäheinsatz erfüllt sein. Um die Fernspähfähigkeit effektiv nutzen zu können, sollten seitens der militärischen Führung nicht bloß einzelne Trupps eingesetzt werden. Vielmehr muss eben die Fähigkeit abgebildet werden. Das bedeutet einen taktisch erforderlichen Mindestansatz – seinerzeit ging man von etwa 20 Dienstposten inklusive OSA-Auswerte- und Führungselement aus. Weiterhin müssen Fernspäher richtig und ebenengerecht geführt werden, also auf operativer Ebene aufgehängt werden. Weiterhin muss das Führungspersonal die Verfahrensweisen und Einsatzgrundsätze von spezialisierten Kräften kennen und verstehen – analog dem Grundsatz: „Spezialkräfte werden nur durch Spezialkräfte geführt“. Der Fernspäheinsatz benötigt darüber hinaus einen gewissen zeitlichen Vorlauf, da bestimmte Informationen anderer Aufklärungsträger bereitgestellt werden müssen, oder z. B. ein vorbereitender Einsatz durch Unmanned Aerial Systems erfolgen muss. Zudem müssen adäquate Fernmeldemittel. OSA-Mittel und schließlich auch Verbringungsmittel verfügbar sein.
Erfahrungen aus den Auslandseinsätzen haben dies bestätigt. Schon seit dem 2. ISAF Kontingent im Jahr 2002 erfüllten Fernspäher regelmäßig Aufträge. Weiterhin waren sie immer wieder  in die Task Force 47 integriert und leisteten direkte Unterstützung für Spezialoperationen und führten auch eigenständige Aufklärungsoperationen durch. Beinahe durchgehend stellte die Fernspählehrkompanie 200 eine Tactical Air Control Party (TACP) in den Kommandobereich Regional Command (North) (RC (N)) ab – ein Auftrag, der eigentlich nur als Zusatzqualifikation einzelner Fernspähtrupps in der Struktur der Kompanie abgebildet war. Darüber hinaus verstärkten Fernspähtrupps in unregelmäßigen Abständen Aufklärungskompanien auf PRT-, Ausbildungs- und Schutzbataillons- und RC (North)- Ebene.

Ausweichschießen (Foto: Jan-P. Weisswange)

Ab dem Januar 2011 befanden sich ca. 20 Fernspähoffiziere und -feldwebel der Fernspählehrkompanie 200 im RC (N) im geschlossenen Einsatz. Die Fernspähkräfte waren direkt dem Kommandeur des RC (N) in Mazr-i Scharif unterstellt. Er setzte sie auch direkt ein, um je nach Bedarfslage Aufklärungsschwerpunkte zu bilden oder Erkenntnisse anderer Aufklärungsträger zu verifizieren. Damit, dass eine so starke Fernspähteileinheit ebenengerecht und auf für sie ausgewiesenen Dienstposten in Afghanistan zu Wirkung gebracht wurde, war seinerzeit erstmals eine wesentliche Erfahrung aus den bisherigen Einsätzen umgesetzt worden.



Ausblick
Fernspäher sind in der Lage, Aufklärungsergebnisse hochflexibel, in schwierigem Gelände, in allen Klimazonen, über mehrere Tage, auch in bedrohlichen Lagen, autark und unerkannt zu gewinnen. Weiterhin können sie Aufklärungsergebnisse anderer Teilfähigkeiten verifizieren oder erheblich „verfeinern“ oder ergänzen. Ihr Einsatzwert erhöht sich erheblich, wenn sie gemäß ihrer Einsatzgrundsätze geführt und ebenengerecht eingesetzt werden. Fernspäher als bessere „leichte Spähgruppen“ einzusetzen heißt, eine Hochwertressource zu vergeuden. Egal, ob Einsatz im erweiterten Aufgabenspektrum oder ob Landes- und Bündnisverteidigung: Die Fernspäher gehören als eigenständige Hochwertressource auf die operative Ebene! Im Hinblick auf die sich rasch wandelnden Gefechtsfelder und den technologischen Wandel kommt es weiterhin darauf an, die Fernspähfähigkeit auch im Verbund mit anderen Kräften des sicherheitspolitischen Instrumentariums stetig weiterzuentwickeln. Das Wiedererlangen einer eigenständigen Fernspähfähigkeit - etwa durch die Wiederaufstellung einer Fernspähkompanie - wäre daher sehr zu begrüßen.






Jan-Phillipp Weisswange