Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 28. Januar 2020

Kommentar: Fehlende Wehrverfassungstreue

Berlin, Köln (ww) Für Aufsehen sorgen derzeit einmal mehr Meldungen über Fälle von Extremismus und des Verdachts der fehlenden Verfassungstreue einzelner Angehöriger der Bundeswehr. Der Wehrbeauftragte des Bundestags geht in seinem heute veröffentlichten Jahresbericht 2019 ebenfalls darauf ein. (Die Berichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages halte ich für staatsbürgerliche Pflichtlektüre. Der heute am 28. Januar 2020 dem Parlament zugeleitete Jahresbericht 2019 findet sich unter diesem Link).
Daß Extremisten jeglicher Coleur in der Bundeswehr ebenso fehl am Platze sind wie Rassisten, Menschenverächter  und sonstige ideologisch Verblendete oder Verwirrte, ist völlig unstrittig. Aufhorchen lässt jedoch der noch relativ neue Tatbestand der "fehlenden Verfassungstreue", den man als Soldat erfüllen kann, ohne Extremist zu sein. Denn Soldaten stehen in einem besonderen Treueverhältnis zu ihrem Staat, dessen Volk und dessen Verfassung.

Die Soldatinnen und Soldaten stehen in einem besonderen Treuerverhältnis zu Volk, Vaterland und Verfassung. Das kam auch in dieser Anzeigenkampagne zum Tag des Grundgesetzes zum Ausdruck. (Foto: JPW)

Jeder Soldat leistet einen Treueeid, der sich auch auf das Grundgesetz erstreckt. Ich fühle mich bis heute als Reserveoffizier meinem Eid verpflichtet, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.  Eine "fehlende Verfassungstreue" würde ich somit einem Eidbruch gleichsetzen. Der wiegt bei Soldaten besonders schwer. Wohl auch deshalb legen Soldaten (jedenfalls alle mir bekannten, seien es deutsche oder ausländische Kameraden) ihrerseits bezüglich geleisteter Treueschwüre hohe Maßstäbe an. Da Loyalität eben keine Einbahnstraße ist, erwarten die Soldaten der Bundeswehr von anderen vereidigten Vertreterinnen und Vertretern unseres Staates völlig zu Recht, daß diese ihrerseits zu ihren geleisteten Eiden gegenüber Volk, Vaterland und Verfassung stehen. Angesichts des Zustandes der vernachlässigten Bundeswehr, über den die Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages nicht nur heute, sondern seit etlichen Jahren alarmierendes berichten, könnte sich daher für Soldaten – als Staatsbürger in Uniform sowieso – eine andere provokative Frage stellen: Lässt sich "fehlende Verfassungstreue" bis hin zum Eidbruch nicht viel eindeutiger an anderen Stellen außerhalb der Streitkräfte attestieren?  Zumindest wenn man davon ausgehen kann, daß Artikel 87a GG einsatzbereite Streitkräfte meint, die der Bund zur Verteidigung aufstellt?
Nun lässt sich nicht abstreiten, daß der jetzige Zustand der Bundeswehr das Ergebnis einer aus sicherheitspolitischem Desinteresse gespeisten gesamtgesellschaftlichen Vernachlässigung und nicht das Werk einzelner Verschwörer in Kooperation mit hackenknallenden Schönfärber-Karrieristen ist. Aber eines dürfte doch klar werden: Der Vorwurf fehlender Verfassungstreue ist keineswegs als leichtfertig anzusehen. Ebensowenig darf er leichtfertig erfolgen. Um so dringlicher erscheint mir hier grundsätzlicher Klärungsbedarf geboten. Ist die Kreation eines solchen Tatbestands neben dem der extremistischen Betätigung überhaupt notwendig?  Und falls ja: Wer legt die Maßstäbe für „mangelnde Verfassungstreue“ auf welcher Grundlage fest? Unklarheit führt jedenfalls zu Unsicherheit, was wiederum der Willkür Tür und Tor öffnen kann – mit unabsehbaren schädlichen Folgen für unser freiheitliches, demokratisches und rechtstaatliches Gemeinwesen. Mindestens ebenso schädlich wäre es für unser Gemeinwesen, wenn sich hinsichtlich der Fähigkeit zur umfassenden Landes- und Bündnisverteidigung nicht deutlich mehr täte.
Der Kampf gegen Extremismus ist aller Ehren wert. Und auch wenn jeder Fall ein Fall zuviel ist: Die Bundeswehr führt ihn erfolgreich. Das zeigt unter anderem der Umstand, daß die Fallzahlen im Promillebereich liegen. Allein schon deshalb darf der Kampf gegen den Extremismus nicht von viel größeren offenen Flanken hinsichtlich unserer Verteidigungsfähigkeit ablenken. Zumal die Soldaten diese nur mit gesamtgesellschaftlichem Rückhalt schließen können.
 
Jan-Phillipp Weisswange